Eindrückliche und aktuelle Uraufführung

by Annette Meisl

Das duo Amrein-Meisl sorgt in der lichtdurchfluteten Chrischonakirche an einer Mattinée für einen Ohrenschmaus erster Qualität.

Sophie Chaillot

Zuerst kann das Publikum die mor- gendlichen Sonnenstrahlen und die wunderbare Aussicht von der Chrisch- onakirche aus geniessen. Der Genuss wird umso grösser, als das Konzert beginnt. Warme Posaunenklänge dringen durch die kleine Kirche und bilden den Auftakt des vielseitigen Programms. Das Konzert ist dem Schweizer Musiker Jürg Wyttenbach gewidmet. Kabarettähnlich kommt das Duo singend, tanzend und spie- lend nach vorne und beginnt mit dem ersten Lied, «Bel Ami» von Theodor Karl Mackeben (1897–1953).

Eine Partitur von zwei Metern

Zwei Meter lang und drei Noten- ständer überlappend ist die Partitur, welche die Sängerin Annette Meisl aus Köln selbst komponiert hat. Dirk Am- rein begleitet ihren Gesang gekonnt und virtuos auf seinem Helicon. Das Helicon gleicht einem übermässig grossen Horn. Die lange Rundung des Trichters sitzt auf den Schultern des Musikers, dieser wird sozusagen von seinem Instrument umarmt.

Zu seinem Instrument erzählt er auch gleich eine Geschichte. Das Heli- con habe Amrein vor langer Zeit im Internet bestellt und habe dann zahl- reiche Wochen darauf warten müssen, weil der Verkäufer keinen passenden Karton für den Versand fand. Als das Instrument dann endlich in einem riesigen Karton verpackt, ansonsten jedoch völlig ungeschützt bei ihm angekommen sei, habe er es total zer- schlagen und verbeult zur Reparatur gebracht. Nach einigen Tagen habe es auch noch fürchterlich zu stinken an- gefangen. Nach einigem Suchen sei eine tote Maus aus dem Trichter ge- fallen.

Im Lied von Sinéad O’Connor wechselt Amrein mühelos zur Po- saune. Herzerwärmend klingt Meisls Stimme, gekonnt und passend zum Gesang begleitet Amrein mit seiner mit Dämpfer bestückten Posaune. Seine Zirkularatmung gibt dem Lied die musikalisch langen Phrasen.

Schweizer Uraufführung

Höhepunkt des Programms ist das eigens für Amrein komponierte Solo- stück für Posaune «Divergence and Convergence». Geschrieben von der zeitgenössischen Komponistin Chih- chun Chi-Sun Lee aus Taiwan wird das Stück heute zur Schweizer Urauf- führung. Die Komposition ist eine Verarbeitung des weltweiten Lock- downs, ihm geht ein kleiner Text zur Musik voran:

«2020 war ein einzigartiges Jahr auf der ganzen Welt, vor allem auf- grund von Covid-19 hat sich das Leben vieler Menschen gewaltig ver- ändert. Viele Themen und politische Entscheidungen betreffen Divergen- zen und Konvergenzen, die entweder direkt oder indirekt einen sehr grossen Einfluss auf alle haben. Das Mu- sikstück ist eine Reflexion dieser Situation, Verzweigungen und Kon- kurrenzen, Gegensätze und Verhee- rungen.»

Dem Text entsprechend klingt das Stück. Amrein schmettert virtuose Staccato-Arpeggien im Gegensatz zu ruhigen zweistimmigen, mit Ober- tönen verzierten Passagen. Seine Po- saune spielt in den obersten Höhen und dunkelsten Tiefen, der ganze Klangumfang wird ausgenutzt. Es klingt wie Abgrund und Verzweif- lung, zahlreiche Effekte werden dem Zuhörer um die Ohren gehauen, es wird geschnauft, gestöhnt, gezittert. Klangvolle Passagen stehen im Ge- gensatz zu Dissonanzen, manchmal klingt die Posaune wie ein verwun- detes Tier. Enden tut das Stück mit einem immensen Seufzer und einem nicht enden wollenden Atemzug. Ist nur zu hoffen, dass es der Pandemie, welche 2022 immer noch andauert, genauso ergehen wird.

Gekonnte Wechsel

Mit Stücken aus Südamerika geht das Programm weiter. Dirk Amrein wechselt gekonnt zwischen vier ver- schiedenen Instrumenten. Mal um- schlingt ihn sein Helicon einer riesi- gen Boaschlange gleich, mal ziert ihn die schlanke Barockposaune oder zwei weitere Posaunen, welche er im Konzert spielt. Amrein ist der bla- sende Paganini, er beherrscht jede technische Schwierigkeit mit Leich- tigkeit.

Zur Zugabe singt das Duo Amrein- Meisl einen Schlager vom schönen Wetter und vom Glücklichsein und entlässt das Publikum erneut nach draussen zur atemberaubenden Aus- sicht von St. Chrischona, dem Haus- berg Basels hoch über Riehen und Bettingen.

Quelle: 

https://cdn.shopify.com/s/files/1/0268/8027/8585/files/20220121_RHV_RIEHNE_023_1.pdf?v=1642797679


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